Preiswerte Wohnungen sind kein Selbstläufer

Interview mit dem Sozialbeigeordneten Mike Schubert.Für die neue Ausgabe des KM-Magazins sprach die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam im Rahmen der Veröffentlichung des Potsdamer Wohnungsmarktberichtes mit Potsdam Sozialbeigeordneten Mike Schubert über die aktuelle Situation auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt.

Herr Schubert, jenseits von Zahlen, wie erleben Sie und Ihre Mitarbeiter die angespannte Situation im Bereich der Sozialwohnungen?
Die Tatsache, dass es momentan nur geringe Spielräume im Bereich günstiger Wohnungen gibt, bringt Menschen, die sich verändern wollen oder müssen, schnell in eine existenzielle Situation. Ob das ein Jugendlicher ist, der zuhause ausziehen will, ein Paar, das sich gerade trennt oder zusammenziehen möchte, Bewohner, deren Wohnungen zu klein oder zu groß geworden sind; meine Mitarbeiter erleben an Sprechtagen mit vollen Gängen häufig Schicksale, die sich nach Dienstschluss nicht so einfach abstreifen lassen. Ein bisschen erinnert mich das an die erste Hälfte der neunziger Jahre, wo es nach den harten Umbrüchen auf den Arbeitsämtern schnell hoch emotional zuging.

Wen betrifft die Situation besonders?
Besonders betroffen sind 1-Personen-Haushalte und Alleinerziehende. Aber es sind gar nicht mal diejenigen, die über Wohngeld oder andere Transferleistungen unterstützt werden. Mir macht die Gruppe, deren Einkommen knapp über den Grenzen für diese Hilfen liegt, viel größere Sorgen. Zum Leben bleibt praktisch kaum noch etwas übrig.

In welcher Zahl des Berichtszeitraums 2013 bis 2016 drückt sich die Entwicklung besonders deutlich aus?
Zum Beispiel in der Anzahl der gültigen Wohnberechtigungsscheine. Im Jahresverlauf 2016 waren das 4 252, ein Zuwachs von etwa 1 000 Berechtigungen innerhalb eines Jahres. Allerdings konnten wir im selben Zeitraum nur 877 Wohnungen vermitteln, ein krasses Missverhältnis. Was dazu führt, dass man recht lange warten muss.

Wo sehen Sie denn die Ursachen für diese Entwicklung?
Das Wachstum der Stadt ist ja eine positive Sache, aber es hat mittlerweile ein Tempo angenommen, bei dem es nicht mehr ausreicht, diese Entwicklung allein dem Markt zu überlassen, lediglich Bauflächen auszuweisen. Bei mehrgeschossigen Neubauten werden inzwischen 56 Prozent des Wohnraumes an Zuzügler vermietet. Was die Möglichkeiten von Potsdamern mit geringem finanziellem Spielraum erheblich beschränkt. Die Unterstützung durch das Land für das soziale Bauen ist zwar da, aber nicht attraktiv genug für Investoren.

Treiben nicht auch die städtischen Grundstückskosten die Mietpreise in die Höhe?
In der Tat, das hohe Mietpreisniveau bei den Neubauten wird längst nicht nur durch die gestiegenen Baukosten, sondern bei uns in Potsdam vor allem auch durch die teuren Bodenkosten bestimmt. Was auch damit zu tun hat, dass Potsdam als Stadt mit geringem Gewerbesteueraufkommen natürlich auch noch andere Aufgaben, neben dem Wohnen etwa Kitas, Schulen und mehr finanzieren muss. Inzwischen allerdings ist der Markt für Bauflächen recht eng geworden.

Wie gegensteuern?
Bei unserer Liegenschaftspolitik müssen wir einiges verändern. Wenn wir über den Tellerrand nach Berlin oder München gucken, dann gibt es dort Regelungen, dass derjenige, der ein größeres Bauvorhaben realisiert, einen bestimmten Anteil an sozialem Wohnungsbau integrieren muss. Oder, dass die städtischen Wohnungsgesellschaften und die Genossenschaften sehr günstig Grundstücke erhalten, um darauf Sozialwohnungen zu errichten.

Welche Rolle können die Genossenschaften spielen?
Sie sind für mich neben der ProPotsdam die wichtigsten Partner, um eine Gegenstrategie für den angespannten Wohnungsmarkt, eine gemeinsame Bodenstrategie für mehr sozialen Wohnungsbau zu entwickeln und sie tragen zur Stabilisierung der Mieten bei. Zugleich ließen sich im Bestand durch Ergänzungsbauten noch Reserven bei der Urbanisierung der Wohngebiete erschließen.

Haben wir das soziale Wohnen als Selbstläufer angesehen?
Wir waren in der Vergangenheit zu marktgläubig, dachten dass da, wo gebaut wird, genug Wohnungen für alle entstehen. Aber der Markt baut da, wo er Gewinne macht. Das war eine strategische Einschätzung, die wir gegebenenfalls korrigieren müssen. Bezahlbarer Wohnraumist eine gesellschaftliche Aufgabe und kein Selbstläufer.

 

Quelle: KM-Magazin 01/2018