Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth begrüßt die Pläne – es gibt jedoch auch Kritik
Die neuen Straßen im Quartier rund um den Alten Markt in der Potsdamer Mitte sollen künftig nach Frauen benannt werden. Über eine entsprechende Beschlussvorlage der Landeshauptstadt beraten die Stadtverordneten in ihrer Sitzung am 6. November, teilte die Stadtverwaltung mit. „Es ist der richtige Schritt, die Straßen in der Potsdamer Mitte nach Frauen zu benennen. Drei Frauen als Namensgeberinnen für Straßen in der historischen Mitte sind ein starkes Zeichen dafür, Frauen ihren gebührenden Platz in der Geschichte Potsdams einzuräumen. In einer weltoffenen und toleranten Stadt sollte sich Geschichtsschreibung auch an den Verdiensten von Frauen orientieren. Statt Kaisern und Königen begegnen wir im Herzen unserer Stadt drei Frauen, die mit ihrem Engagement zur positiven Entwicklung der Stadt Potsdam und des gesellschaftlichen Lebens beigetragen und sich für menschliches Miteinander eingesetzt haben. An diesem Platz, in unmittelbarer Nachbarschaft des Landtages, sollen sie unser aller Mahnung für Freiheit und Demokratie sein“, sagte die Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt, Martina Trauth.
Die Mitglieder des Ausschusses für Kultur und Wissenschaft hatten sich in ihrer Sitzung im September für die Benennung der neuen Straßen – die früher Schloßstraße, Kayserstraße und Schwertfegerstraße hießen – in Erika-Wolf-Straße, Anna-Zielenziger-Straße und Anna-Flügge-Straße ausgesprochen.
Erika Wolf (1912-2003) war 1945 Mitbegründerin der CDU in Potsdam und war von 1946 bis zu ihrer Flucht nach Westdeutschland 1950 Stadtverordnete. Außerdem wirkte sie im CDU-Landesvorstand als Leiterin der Abteilung Frauen. Nach 1989 unterstützte Wolf den Wiederaufbau des CDU-Landesverbandes und lebte von 1994 bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 wieder in der Landeshauptstadt.
Anna Zielenziger (1867-1943) war Vorsitzende des Israelitischen Frauenvereins Potsdam und Beisitzerin im Mädchenheim Potsdam e.V.. Nach dem Tod ihres Ehemannes Julius, der unter anderem Potsdamer Stadtrat und Vorsitzender der Synagogengemeinde Potsdam war, emigrierte Zielenziger 1939 nach Amsterdam. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande wurde die damals 76-Jährige von den Nazis verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork gebracht, wo sie am 22. November 1943 starb.
Anna Flügge (1885-1968) war eine deutsche Politikerin und Stadtverordnete der SPD in Potsdam. Die gebürtige Potsdamerin engagierte sich zudem in der Arbeiterwohlfahrt. Nach der Machtergreifung der Nazis und dem Verbot der SPD 1933 unterstützte sie die Herstellung und Verbreitung von Flugblättern. Nachdem die Polizei darauf aufmerksam wurde, stellte sie die illegale Arbeit ein und betätigte sich in den folgenden Jahren nicht mehr politisch. 1936 gründete die dreifache Mutter mit ihrem Ehemann den Kleingartenverein „Bergauf“ am Pfingstberg mit. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden ehemalige Funktionäre und Abgeordnete der Weimarer Republik von der Gestapo verhaftet, darunter auch Anna Flügge. Sie wurde ins KZ Ravensbrück verschleppt und kurze Zeit später wieder freigelassen. Nach Kriegsende trat Anna Flügge der SPD bei und war nach der Zwangseinheit der SPD und KPD 1946 Mitglied der SED. Am 19. Oktober 1968 starb sie in Potsdam.
Die Landeshauptstadt Potsdam hat einen sogenannten Straßennamenpool, der im Zusammenhang mit den Straßenbenennungen im neuen Stadtteil Bornstedter Feld Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre entstanden ist. Vorschlagsberechtigt ist grundsätzlich jeder Bürger und jede Bürgerin. In der Regel werden Namensvorschläge durch die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Die Aufnahme in den Namenspool erfolgt durch Beschluss der Stadtverordneten. Im Straßennamenpool befinden sich aktuell 88 Namensvorschläge, von denen 80 Frauen und Männer sind, sieben Städte – davon fünf noch nicht verwendeter Partnerstädte – und das Datum des 17. Juni 1953.
Die Pläne zur Umbenennung haben in der Stadtgesellschaft eine Debatte losgetreten. Fast täglich berichten die Potsdamer Tageszeitungen über den andauernden Streit. Inzwischen habe laut der Potsdamer Neuesten Nachrichten die Initiative Mitteschön am vergangenen Sonntag einen neuen Kompromissvorschlag veröffentlicht: Demnach sollen Anna Zielenziger, Erika Wolf und Anna Flügge auf der anderen Seite der Havel, in der Speicherstadt am Hauptbahnhof geehrt werden. „Dieser zentrale Ort am Havelufer mit einem großen Hotel wäre sicher würdevoller als die jetzt wiederzuerrichtenden Stummel historischer Straßen“, so die Initiative laut des am 29. Oktober veröffentlichten Artikels. Der Linken-Stadtverordnete Sascha Krämer bekräftigte dagegen gegenüber den PNN, es sei wichtig, Frauen nun auch über Straßenbenennungen „ins politische und gesellschaftliche Bewusstsein“ zu rücken und zwar gerade auch in der Mitte der Stadt.
Von den aktuell insgesamt 1102 Straßen und Plätzen in Potsdam seien 334 Orte nach Männern benannt und lediglich 51 nach Frauen, berichteten die PNN in ihrer Wochenendausgabe vom 26. Oktober. Dies habe das Verkehrsflächenamt auf Anfrage der CDU-Stadtverordneten Anna Lüdcke bekannt gegeben. Die Mehrheit der verwendeten Namen – 717 Straßen und Plätze – hätten allerdings keinen Geschlechterbezug, wie es in der Antwort heiße. „Von der Auskunft aus dem Rathaus dürften sich jene Stadtverordneten bestärkt fühlen, die momentan im Bau begriffenen Straßen in der Potsdamer Mitte nach drei Frauen benennen und nicht mit den historischen Namen versehen wollen“, kommentieren die PNN. Entschieden werde über die Umbenennungen in der Stadtverordnetenversammlung am 6. November. Eine Mehrheit gelte derzeit als sicher, so die Zeitung. Wie die PNN am gestrigen Montag vermeldeten, habe die CDU nach einer Fraktionsklausur ihre Position in der Debatte um die Umbenennung revidiert. Man werde in der Stadtverordnetenversammlung beantragen, die historischen Straßennamen Schloss-, Schwertfeger- sowie Kaiserstraße beizubehalten, heißt es in der Meldung.
Hintergrund
Ende des zweiten Weltkrieges wurde der einzigartige barocke Stadtkern um den Alten Markt großflächig zerstört. In der Nachkriegszeit wurden die verbliebenen Gebäudereste abgerissen und ein neues Stadtzentrum geplant, bis zur politischen Wende 1989 waren die Pläne allerdings nicht vollständig umgesetzt. Bereits 1990 beschloss die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung daher die Wiederannäherung an das charakteristische, historisch gewachsene Stadtbild. 1999 wurde das Sanierungsgebiet „Potsdamer Mitte“ förmlich festgesetzt und damit neue Planungsziele zur Wiedergewinnung der historischen Stadtmitte ermöglicht. Seitdem ist Potsdams alte neue Mitte einer der bedeutendsten Transformationsräume der Stadt. Bei der künftigen Bebauung geht es um die künftige, ausgewogene, bunte Mischung bei der Nutzung der neuen Gebäude, um Stadtleben in einem dem Zentrum angemessenen Maßstab.
Auf dem Areal der ehemaligen Fachhochschule in der Potsdamer Mitte sollen in den kommenden Monaten und Jahren neue, lebhafte Quartiere für alle Menschen, ein urbanes Stadtzentrum mit dringend benötigten zusätzlichen Wohnungen, Platz für Gewerbetreibende, Cafés und Bars sowie öffentlichen Plätzen samt Kunst und Kultur entstehen.
An dem Neubauprojekt sind auch die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaften PWG 1956 und „Karl Marx“ beteiligt.
Quelle: Bereich Presse und Kommunikation der Landeshauptstadt Potsdam, PNN