Carsten Hagenau hat die Historie des Bauvereins Babelsberg erforscht.
120 Jahre wird der Bauverein in diesem Jahr. Ein Kenner der Geschichte ist Carsten Hagenau. Er hat die Historie des Bauvereins erforscht und in der Publikation „Eine Zierde für die Gegend“ beschrieben. Mit ihm sprachen wir über Hochs und Tiefs in der langen Geschichte, über wichtige Ereignisse und warum der Übergang in die Marktwirtschaft ein gleichermaßen riskantes wie anstrengendes Unterfangen war.
Am 17. Oktober 1904 gründeten ein paar Privatpersonen einen genossenschaftlichen Bauverein. War das damals etwas Besonderes?
Die Jahrhundertwende war eine Hochzeit der Genossenschaften in Deutschland. Überall wurden sie gegründet, auch in Potsdam. Die Siedlung Daheim war bereits im Bau, der Arbeiter-Bau-Verein baute an der Leipziger Straße, Beamtenbauvereine hatten sich schon zuvor zusammengefunden. Aber in Nowawes war das tatsächlich die erste Gründung.
Anlass war ein Vortrag eines Regierungsbeamten, nämlich des Potsdamer Regierungsrates Paetow, auf einer Versammlung des Evangelischen Arbeitervereins NowawesNeuendorf. Welche Rolle spielte die Obrigkeit bei der Gründung solcher Genossenschaften?
Das war tatsächlich eine interessante Konstellation: Natürlich haben sich da Arbeiter zusammengetan, die ihre Spargroschen zusammenlegten, um für sich selbst Wohnungen zu bauen. In dem, was sie taten, wurden sie aber von der Obrigkeit unterstützt. Da war der Regierungsrat Paetow, der auf einer Versammlung darlegte, wie eine Genossenschaft funktioniert. Da waren Unternehmer, die das finanziell unterstützten, und da waren auch die Kirchen, die den Versammelten zusprachen. Hier mischte sich die Selbsthilfe der Arbeiterschaft mit dem politischen Willen der Institutionen. Alle haben es als ihre eigene Aufgabe verstanden, etwas gegen die Wohnungsnot zu tun.
Das hatte aber auch seinen ideologischen Preis. Als Mitglied musste man Gott und Kaiser treu ergeben sein, politische Agitation war ausdrücklich verboten …
Man muss bedenken, dass Nowawes ein Industriestandort mit einer gut organisierten Arbeiterschaft war. Und natürlich kümmerten sich die Vertreter von Kirche, Staat und Unternehmen nicht ohne Hintersinn um die Gründung von Genossenschaften. Ich glaube, dass es auch ganz klar darum ging, der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften das Wasser abzugraben.
Unmittelbar nach der Gründung begann der Bauverein mit dem Bau von Wohnungen. Bis 1914 entstanden 11 Häuser mit 177 Wohnungen, in denen etwa 800 Menschen lebten. Aber dann ging es erst einmal nicht weiter.
Das war schon ein ziemliches Tempo: Jedes Jahr ein Haus, jedes Jahr mindestens 15 Wohnungen. Das ging so bis 1914. Die nächsten 15 Jahre war dann aber nichts mehr mit Bauen. Erst der Weltkrieg, dann die Revolution, danach die Weltwirtschaftskrise … Der Bauverein versuchte in den 20er-Jahren, seine Kredite aus der Vorkriegszeit loszuwerden, um nicht im Strudel der Wirtschaftskrise zu versinken. Mit großer Kraftanstrengung gelang das. Gebaut wurde erst wieder 1929, in der Großbeerenstraße und am Findling.
Diese Bauetappe hält nur zehn Jahre an. Im Herbst 1938 wird ein allgemeiner Baustopp verordnet und der Wohnungsbau den Kriegsvorbereitungen geopfert.
Der Bauverein hatte vielleicht Glück im Unglück. Gerade hatte der Vorstand einen Deal zum Bau von 33 Wohnungen auf einem Grundstück am Schützendamm Ecke Klaedtkestraße vereinbart: Für die Finanzhilfe des Oberfinanzpräsidenten Brandenburgs war man bereit, 20 der 33 geplanten Wohnungen der Gestapo zu überlassen. Daraus wurde mit dem allgemeinen Baustopp nun nichts mehr.
Welche Auswirkungen hatte der Baustopp außerdem für den Bauverein?
Baustopp bedeutete ja nicht nur, dass nichts Neues gebaut werden konnte. Das hieß auch, dass das bereits Erbaute nicht mehr richtig instand gehalten werden konnte. 1938 beginnt jener Mangel an Material und Fachleuten, wie er bis 1989 anhalten sollte.
Trotzdem gab es nach 1938 noch einen Zuwachs an Wohnungen. Woher kam der?
Im Oktober 1941 verschmelzen zwei kleinere Genossenschaften mit dem Bauverein: Die Frauenheimstätten mit 31 Wohnungen und die Wohnungsbaugenossenschaft 1928 Potsdam-Babelsberg mit 47 Wohnungen. Grund der Verschmelzung war ein Gesetz, das durch Zentralisierung der Verwaltung wehrfähige Männer für den Krieg freisetzen sollte.
Der Bauverein verfügt nach der Verschmelzung über insgesamt 348 Wohnungen in 26 Häusern. Das sollte seine größte Ausdehnung gewesen sein, oder?
Zumindest kommt kein Neubau mehr dazu. Im Gegenteil: Von den 26 Häusern des Bauvereins werden bis Mai 1945 sieben durch Bomben und Kämpfe beschädigt. 27 Wohnungen werden dadurch komplett zerstört. Weitere 46 Wohnungen werden von der Roten Armee beschlagnahmt. Summa summarum geht dem Bauverein jede 5. Wohnung verloren.
Die bleiben für immer verloren?
Nein, bis Ende 1946 gibt die sowjetische Armee fast alle Wohnungen zurück. Der Wiederaufbau dauert aber viel länger. Es gibt kein Material, keine Bauleute, keine Genehmigungen, nichts. Erst 1950 sind alle Kriegsschäden beseitigt und alle Wohnungen wieder nutzbar.
Aber Neubau kommt für den Bauverein in den kommenden Jahren nicht infrage?
Zum Bauen braucht man Ressourcen und die verteilt in einer Zentralwirtschaft der Staat. Die DDR-Oberen nutzen nicht das Potenzial der traditionsreichen Genossenschaften, sondern lassen sie links liegen. Vielleicht passten sie nicht in die Planwirtschaft, vielleicht galten sie als bürgerlich, ich weiß es nicht. Eine Rolle spielten die Kreditverpflichtungen aus früheren Jahrzehnten: Die Banken saßen ja inzwischen fast alle im Westen, sodass man permanent deren Einfluss fürchtete.
Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 kommt es doch aber zu einer erneuten Blüte des Genossenschaftswesens. Da spielen die alten Genossenschaften keine Rolle?
Ab dem Sommer 1953 werden die Arbeiterwohnungsgenossenschaften gegründet, zu Dutzenden, vorangetrieben von Staat und Partei. Die werden auch gefördert und unterstützt, sie erhalten Grundstücke, Kredite, Baumaterial und so weiter. Die alten Genossenschaften, auch der Bauverein, betteln in dieser Zeit geradezu darum, beim Wohnungsbau mitwirken zu dürfen. Sie überschlagen sich in Treueschwüren auf den Sozialismus. Aber nichts da, die neuen AWGs bleiben unter sich.
1973 wurde das Wohnungsbauprogramm der DDR beschlossen. Bis 1990 sollten drei Millionen Wohnungen gebaut werden. Auch dabei konnten die alten Genossenschaften nicht mitwirken?
Das Bauprogramm fand ohne sie statt. Die Konzentration auf den Neubau führte allerdings dazu, dass es zu erheblichen Engpässen bei Baumaterialien und Bauleistungen kam. Die ohnehin schwierige Erhaltung der Gebäude wurde noch schwieriger. Im Dezember 1975 protestierten der Bauverein und andere ältere Genossenschaften gegen den Mangel. In der Folge kam es wiederholt zu Bestrebungen, den Bauverein in einer anderen, größeren Genossenschaft aufgehen zu lassen. Da machte der Staat ziemlichen Druck.
Aber dann war der Staat plötzlich weg. Und damit gab es eine neue wirtschaftliche Grundlage.
Ab dem 1. Juli 1990 startete der Bauverein in die Marktwirtschaft. Das war ungefähr so, als wäre ein Nichtschwimmer „La Paloma“ pfeifend in ein Haifischbecken gestiegen. Als erstes hatte der Vorstand alle Hände voll zu tun, dass der Bauverein nicht unterging. Es begann ein jahrelanger Prozess der Anpassung des Bauvereins an die Bedingungen der Marktwirtschaft.
Wie vollzog sich diese Anpassung?
Auf der einen Seite waren da die D-Mark-Eröffnungsbilanz zu erbringen, im Weiteren die notwendigen Eigentumsnachweise und die Nachweise der Schuldenfreiheit. Das dauerte bis 1993, ehe das alles sauber und geordnet vorlag. Erst 1993 war der Bauverein vollumfänglich geschäftsfähig! Auf der anderen Seite war da der Sanierungsstau, den man mit den laufenden Mieteinnahmen nie und nimmer bewältigen konnte. Der Prozess der Anpassung der Einnahmen dauerte bis 1994. Ich glaube, dass diese Anpassung die größte Leistung in der Geschichte des Bauvereins ist. Nach dessen Gründung natürlich.
„Eine Zierde für die Gegend“ heißt der historische Abriss, der zum 100. Geburtstag des Bauvereins erschienen ist. In der Geschäftsstelle kann man die Publikation erhalten.