Am vergangenen Freitag setzte der Potsdamer Genossenschaftstag ein starkes Zeichen für das gemeinschaftliche Wohnen.

Unter dem Motto „Potsdam braucht mehr Genossenschaft! 131 Jahre und kein Ende!“ wurden zunächst per Fahrradtour bedeutende Stationen der Potsdamer Genossenschaftsgeschichte erkundet. Im Anschluss diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Stadtgesellschaft im Bürgerhaus am Schlaatz über die Zukunft genossenschaftlicher Wohnformen in Potsdam.
Genossenschaft als Antwort auf Wohnungsknappheit?
Wie die MAZ berichtet, sei das genossenschaftliche Prinzip der „Hilfe durch Selbsthilfe“ in Potsdam aktueller denn je. Wenn sich viele zusammenschlössen und ihre wirtschaftlichen Kräfte bündelten, könnten sie bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne Gewinnorientierung, aber mit echter Mitbestimmung. „Wohnrecht auf Lebenszeit, demokratische Beteiligung, Kündigungsschutz und solidarisches Miteinander“, so beschriebe etwa die Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG (PWG) die Vorteile. Rund 20 Prozent des Mietwohnungsbestands in Potsdam seien genossenschaftlich organisiert, deutlich mehr als in Berlin, wo dieser Anteil bei etwa zwölf Prozent liege. Im Arbeitskreis StadtSpuren sind folgende Genossenschaften vertreten:
- Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam eG – mit ca. 6.600 Wohnungen die größte Genossenschaft der Stadt
- Potsdamer Wohnungsgenossenschaft (PWG) 1956 eG – mit rund 4.400 Wohnungen
- Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft (pbg) eG – mit etwa 2.660 Wohnungen
- Wohnungsbaugenossenschaft 1903 eG
- WG Bauverein Babelsberg eG
- GEWOBA Babelsberg eG – eine der kleineren Genossenschaften mit rund 353 Wohnungen
- Wohnungsbaugenossenschaft Daheim eG
Historische Wurzeln – und aktuelle Herausforderungen

Die Geschichte genossenschaftlichen Wohnens in Potsdam reiche weit zurück. Bereits 1895 hätten „beherzte Eisenbahner“ die Kolonie „Daheim“ gegründet. Eine Siedlung mit Gaststätte, Kegelbahn und architektonischem Anspruch. Beim Zwischenstopp der Radtour stellte Carsten Hagenau, Sprecher des Arbeitskreis StadtSpuren, diese und andere historische Stationen vor. Eine zweite Gründungswelle habe in den 1950er-Jahren auf die große Wohnungsnot nach dem Krieg reagiert.
Die PWG sei 1956 nicht ohne Herausforderungen gegründet worden: hohe Genossenschaftsanteile und verpflichtende Aufbaustunden hätten zunächst viele Interessenten abgeschreckt. Heute, fast 70 Jahre später, könnten sich die Genossenschaften kaum retten vor Anfragen. Der Andrang sei so groß, dass viele, darunter auch die PWG 1956, aktuell keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen könnten. „Keine Neuaufnahme möglich“, heiße es inzwischen auf mehreren Internetseiten.
Faire Mieten und große Nachfrage
Die Gründe für das enorme Interesse seien nachvollziehbar: Die durchschnittliche Miete bei der PWG liege derzeit bei 6,48 Euro pro Quadratmeter, weit unter dem Potsdamer Durchschnitt. Im Neubau könne es zwar bis zu 14 Euro werden, doch Bestandswohnungen würden meist deutlich günstiger angeboten. Jährlich wechselten bei der PWG rund 200 bis 250 Wohnungen die Mieterinnen und Mieter. Neu gebaut würden im Schnitt etwa 30 Wohnungen pro Jahr, inzwischen auch im Umland wie in Saarmund oder Rehbrücke.
Digital, sozial und zukunftsgewandt

Die Genossenschaften im Arbeitskreis StadtSpuren wollten sich auch digital zukunftsfit aufstellen. So überträgt die PWG ihre jährliche Vertreterversammlung inzwischen live über Instagram – ein Schritt zu mehr Transparenz und Beteiligung. Gleichzeitig würden neue Projekte geplant: Ein großes Vorhaben sei das Bergviertel in Krampnitz, das die PWG gemeinsam mit der Genossenschaft „Karl Marx“ und der pbg entwickle. Dort könnten rund 800 Wohnungen im unteren Mietpreissegment entstehen. Derzeit werde gemeinsam mit dem Entwicklungsträger Potsdam am Bebauungsplan gearbeitet. Mit dem Baubeginn sei frühestens 2028 zu rechnen – sofern Fördermittel des Landes bereitgestellt würden.
„You’ll never walk alone“ – das Motto des Sommerempfangs

Jörn-Michael Westphal, Geschäftsführer der ProPotsdam GmbH (2. v. l.), Matthias Pludra, Sprecher des Vorstandes der Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG (3. v. .l.), Mike Schubert, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam (2. v. r.), Matthias Brauner, Leiter der Landesgeschäftsstelle Potsdam des BBU Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V. (r.), Josephine Braun und Carsten Hagenau vom Arbeitskreis StadtSpuren (l. und 3. v. r.). Foto: Stefan Gloede
Beim Sommerempfang des Arbeitskreis StadtSpuren wurde deutlich, was genossenschaftliches Wohnen auch heute noch bedeute: Verlässlichkeit, Solidarität und Gemeinschaft. Der langjährige Vorstandssprecher der PWG, Matthias Pludra, der zum Jahresende ausscheiden werde, habe es auf den Punkt gebracht: „You’ll never walk alone.“ Sein Nachfolger im Vorstand, Roman Poosch, betone zudem: „Wohnen ist keine Spekulationsware.“ Als Bauingenieur mit Erfahrung in der Wohnungswirtschaft wolle er den sozialen Auftrag der Genossenschaften weiter stärken: fair, transparent und zukunftsorientiert.
Quelle: MAZ








