Parcours durch Potsdam

Zum Potsdamer Genossenschaftstag traten gut 100 Mitfahrer zu einer Radtour an.

Potsdamer Genossenschaftstag 2025. Foto: Lutz Langer

Beim Potsdamer Genossenschaftstag am 18. Juli traten gut 100 Fans in die Pedale, um bei einer Radtour die Highlights der 130 Jahre zählenden Historie der Genossenschaften zu besichtigen.

Emanzipatorisch und schön

Der Pulk der interessierten Biker traf sich am Haus in der Sonne des Bauvereins Babelsberg. Das Gebäude wurde von der unglaublichen Emilie Winkelmann entworfen, der ersten selbstständigen Architektin in Deutschland. Das Haus ist wahrlich ein Platz an der Sonne, und zwar für Frauen. Winkelmann baute es für alleinstehende berufstätige Frauen, die in Rente gehen, aber weiterhin unabhängig leben wollten. 1914 entstanden hier 14 unterschiedlich große moderne Wohnungen mit Küche, Toilette, beheizbarer Loggia, teilweise eigenem Bad und Zentralheizung.

Uwe Marz, Vorstand des Bauvereins Babelsberg, zu dem die Wohnanlage gehört, fand die richtigen Worte, um Emilie Winkelmann zu würdigen. Das Haus in der Sonne war für seine Zeit außergewöhnlich und ist damals ganz sicher als emanzipatorischer und selbstbewusster Akt verstanden worden. Neben der sozialen und architektonischen fällt eine weitere Qualität ins Auge, die gestalterische: Das Haus ist wirklich schön.

Kraftvoll und inspirierend

Der Fahrradkorso fand bei bestem Wetter seinen Weg in die Paul-Neumann-Straße zur Gewoba eG Babelsberg. Inmitten der Siedlung liegt ein Gebäude, das in Kubatur und Dachprofil an ein gepanzertes Schiff erinnert. Man kann sich gut vorstellen, wie auf dessen Brücke der Vorstand die Genossenschaft durch die Stürme lenkt. Und ebenso kann man sich vorstellen, wie Kate Winslet da oben mit Leonardo DiCaprio steht und mit ausgebreiteten Armen die Urgewalten herausfordert. Ein Mitglied der Fahrradgemeinde nahm seinen Helm ab und meinte: „Wow, dass es so etwas in Potsdam gibt.“

Das Gebäude ist ein 1929 vom Stapel gelassenes Kraftwerk: ein Heizhaus, das einst die Siedlung mit Fernwärme versorgte, zugleich aber auch eine genossenschaftseigene Wäscherei, Gemeinschaftsräume und das Vorstandsbüro beherbergte. Vorständin Kathleen Zeissler verwies auf die lange genossenschaftliche Tradition von Innovationen in der Energieversorgung. Angesichts der Wärmewende könnte diese Tradition gerade heute wieder an Bedeutung gewinnen.

Architekt der Siedlung war Willi Ludewig. Als er den Auftrag zum Bau der Siedlung erhielt, war Ludewig gerade einmal 26 Jahre alt. Das Ausnahmetalent stand damals gerade im Begriff, die Crème de la Crème der deutschen Architektur aufzumischen. Da sich Ludewig nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte, bekam er nach der Machtergreifung der Faschisten keine nennenswerten Aufträge mehr. Das Paar floh nach Argentinien. Hier arbeitete Ludewig weiter als Architekt, allerdings nie wieder unter seinem eigenen Namen, da sein Gastland die deutschen Berufsabschlüsse nicht anerkannte.

Die Besichtigung der Kellerräume des Heizwerkes offenbarte, dass Ludewig zwar in der Tradition des Bauhauses zu verorten ist, zugleich aber die gestalterische Improvisation nicht scheute.

Potsdamer Genossenschaftstag 2025. Foto: Lutz Langer

Daheim wird gefeiert

Mit schönen Eindrücken und inspirierenden Bildern im Kopf ging es weiter in die Kolonie Daheim, wo Christian Pannwitz die Pedaleure am Geburtsort der Potsdamer Genossenschaftsbewegung begrüßte. Mitglieder der WBG Daheim hatten eine kleine Trinkpause auf dem Festplatz der Siedlung vorbereitet. Carsten Hagenau, der vor einigen Jahren die Geschichte der Kolonie recherchiert und aufgeschrieben hat, berichtete über deren Entwicklung seit 1894. Von Anfang an habe die Genossenschaft Dividende auf die Einlagen ihrer Mitglieder ausgezahlt, einen Fonds für in Not geratene Mitglieder aufgelegt und später auch einen Fonds für Witwen, um ihnen das Wohnen in der Siedlung zu sichern. Die Kolonisten hätten den ersten Konsum in Potsdam gegründet und sogar das Schulgeld für die Kinder ihrer Mitglieder bezahlt. Hagenau schwärmte davon, dass die Genossenschaft seit jeher wie keine andere zu feiern wusste.

Potsdamer Genossenschaftstag 2025. Foto: Lutz Langer

Geschichte und Anspruch

Nach einer kurzen Fahrt durchs Grüne trafen die Radler im Schlaatz ein, wo sie Roman Poosch, Vorstandsmitglied der PWG 1956, am Falkenhorst begrüßte. Die 1956 ist am Schlaatz seit dessen Anfängen in den 1980er Jahren vertreten. Sie bewirtschaftet im Quartier 15 Wohnhäuser mit rund 563 Wohnungen, etwa 1.000 Mitglieder leben hier. Die Durchschnittsmiete liegt aktuell bei 5,66 Euro pro Quadratmeter. Das zeige, so Poosch, dass der Schlaatz nicht nur ein Ort mit Geschichte, sondern auch mit sozialem Anspruch sei.

Er berichtete, dass die Genossenschaft im Jahre 2023 gemeinsam mit Studierenden der FH Potsdam das Quartier Alte Zauche/Falkenhorst im Rahmen eines Semesterprojektes untersucht habe. Die Studierenden entwickelten dabei nicht nur planerische Konzepte, sondern sprachen auch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Ideen der Studenten fließen neben vielen anderen Aspekten mit in die langfristigen Planungen der PWG 1956 ein.

Qualitäten und Potenzial

Am Schilfhof, der nächsten Station auf der Tour, stellten Roman Poosch für die PWG 1956 und Carsten Hagenau für den Arbeitskreis StadtSpuren die Arbeiten am Masterplan Schlaatz 2030 und am Bebauungsplan 138 vor. Während Hagenau auf die städtebaulichen Superlative der Plattenbausiedlung aus DDR-Zeiten verwies, konzentrierte sich Poosch auf die aktuellen Arbeiten am B-Plan: „Dabei geht es nicht nur um energetische Sanierung, sondern auch um die Schaffung von Spielräumen für Neubau, Aufstockung und moderne Mobilitätskonzepte. Auch wenn der Neubau für Genossenschaften aktuell wirtschaftlich kaum darstellbar ist, bereiten wir uns auf künftige Möglichkeiten vor.“

Gemeinsam bekannten sich die beiden Schlaatz-Guides zum Stadtteil. Roman Poosch: „Der Schlaatz ist ein Quartier mit Charakter – und mit Herausforderungen. Viele Bewohnerinnen und Bewohner leben hier mit begrenztem Einkommen, es gibt einen hohen Anteil an Singlehaushalten und älteren Menschen. Trotz seiner zentralen Lage an der Nuthe haftet dem Stadtteil ein negatives Image an. Wir als PWG 1956 stehen dennoch klar zum Schlaatz. Wir sehen nicht nur die Probleme, sondern auch das Potenzial. Und wir handeln entsprechend.“

Potsdamer Genossenschaftstag 2025. Foto: Lutz Langer

Mehr Grün durch Kooperation

Am letzten Zwischenstopp stellte Carsten Hagenau für den Arbeitskreis StadtSpuren das Kooperationsprojekt Biberkiez vor. Drei Genossenschaften – die pbg, die WG Karl Marx und die PWG 1956 – sowie die kommunale ProPotsdam haben hier gemeinsam einen rund 10.000 Quadratmeter großen Wohnhof umgestaltet. Voraussetzung waren eine grundstücksübergreifende Planung und eine gemeinschaftliche Investition der beteiligten Unternehmen. Das Ergebnis: Mehr Grün, mehr Sitzmöglichkeiten, geringere Versiegelung, 52 neue Bäume, mehr Parkplätze bei geringerem Flächenverbrauch und ein Spielplatz. Teil der Entwicklung waren auch mehrere Beteiligungsrunden mit den Anwohnern und ein viertägiger Workshop mit Kindern und Jugendlichen.

Tradition und Gewissheit

Nach etwa 10 Velokilometern, sechs Stationen und drei Stunden endete die illustre Fahrt durch 130 Jahre Geschichte der Potsdamer Genossenschaften. Bei einem abschließenden Gespräch im Bürgerhaus Schlaatz – u. a. mit Matthias Brauner (BBU) und Brigitte Meier (Sozialbeigeordnete der Stadt Potsdam) – wurde klar: Die Prinzipien der Genossenschaften – Selbsthilfe, Mitbestimmung und Solidarität – sind in Potsdam fest verwurzelt. Dies gibt den Anwesenden die Gewissheit, dass die Potsdamer Genossenschaften auch die aktuellen Herausforderungen bewältigen und kommende Aufgaben lösen werden.

Autor: Carsten Hagenau (Projektkommunikation Hagenau)