Erinnerungen an die Nacht von Potsdam

Vor 80 Jahren zerstörte die britische Luftwaffe die Kolonie Daheim.

Der Wiederaufbau auch der Kolonie Daheim wurde vor allem von Frauen gestemmt. Archivfoto: WBG Daheim

Seit Jahren war man in Potsdam die Sirenen gewohnt, aber meistens waren die Fliegerverbände an der Stadt vorbeigezogen. An diesem 14. April 1945 sollte es anders sein. Um 22.16 Uhr begann der Angriff. Insgesamt warfen die 490 Flugzeuge der britischen Luftwaffe etwa 1.700 Tonnen Sprengbomben, Luftminen und Brandbomben auf die Stadt. 1.593 Menschen starben bei dem Angriff. Fast 1.000 Gebäude wurden zerstört. Ein Fünftel von Babelsberg, Teile der Teltower Vorstadt, vor allem aber die historische Innenstadt wurden vernichtet.

Auch die Potsdamer Genossenschaften waren von den Zerstörungen jener Nacht betroffen: Der Bauverein Babelsberg, die GWG Vaterland (die 2006 mit der PWG 1956 verschmolz), die heutige Gewoba Babelsberg sowie die heutige WBG 1903 hatten Tote und Schäden zu beklagen. Am schlimmsten traf es die Kolonie Daheim. Die britischen Flieger konnten in der Siedlung mehr als 40 Treffer landen: Vier Gebäude sackten in sich zusammen, fünf weitere wurden schwer beschädigt. In den Trümmern blieben Tote und Verschüttete zurück.

Kaum dass Entwarnung gegeben worden war, machten sich die Überlebenden daran, die Eingeschlossenen zu bergen. In späteren Aufzeichnungen beschrieb der langjährige Vorsitzende der Genossenschaft, Horst Rosenthal, die Verzweiflung: Verdunklungen hatte man schon früh geübt, auch das Verhalten bei Luftalarm. Aber niemand war vorbereitet auf die Rettung von Verschütteten. Es gab keine Werkzeuge, keine Karren, keine Handschuhe, keine Notbeleuchtung, keine Handlampen. Niemand wusste, wie man einen verschütteten Keller freilegt.

In der Dunkelheit gruben sie sich mit Brecheisen und Äxten in die Trümmer, immer in der Angst, dass irgendwo eine Mine mit Zeitzünder explodiert, die sie selbst in den Tod reißt oder unter zusammenfallend Mauern begräbt. Sie bildeten Menschenketten und reichten den Schutt durch, zumeist Frauen und Halbwüchsige, ein paar alte Männer. Dazwischen das Weinen und Schreien der kleinen Kinder. Und über allem ätzte der Brandgeruch und die Angst.

In dem Haus, wo sich die Fleischerei und der Lebensmittelladen befanden, wütete derweil ein Feuer. Es drohte auf die benachbarten Häuser überzugreifen. Da auf einigen Höfen der Kolonie noch die Brunnen standen, die bis 1929 der Wasserversorgung dienten, konnte man deren Wasser zum Löschen nutzen. Eimer wurden von Hand zu Hand gereicht. Trotz aller Anstrengungen verbrannten mit dem Haus die letzten Lebensmittelreserven der Siedlung, die im Keller lagerten.

Der Kampf um die Überlebenden dauerte bis in den Morgen. Als es hell wurde, konnte man einen Jungen lebend aus dem Schutt ziehen. Etwa 40 weitere Menschen wurden tot geborgen.
Die Bilanz der Nacht: 40 Treffer, 80 Tote, mehr als 100 zerstörte Wohnungen, die Siedlung zu 60 Prozent zerstört. Bergungstrupps brachten die Toten auf den Neuen Friedhof. Das letzte Geleit gaben ihnen ein paar Nachbarn.

Die beschädigten Gebäude haben die Kolonisten repariert, was bis 1960 dauerte. Aber die zerstörten Häuser wurden nie wieder aufgebaut. Die Trümmer der Daheim bekamen einen besonderen Platz und einen neuen Zweck: 1954 bauten sich die Bewohner der Kolonie in freiwilligen Arbeitsstunden eine 200 Quadratmeter große Tanzfläche. Das Fundament dafür bestand aus Trümmern der neun Jahre zuvor zerstörten Häuser.

Carsten Hagenau, 14.04.2025