Eine typisch genossenschaftliche Mitte

Im Gespräch mit den Genossenschaften zur geplanten Bebauung des sogenannten Block III.

Drei Potsdamer Genossenschaften haben sich in enger Abstimmung miteinander um die Bebauung des sogenannten Block III in der Potsdamer Mitte beworben. Dort, wo derzeit das einstige Lehrgebäude der FH Potsdam abgetragen wird, soll ein neues städtisches Quartier entstehen. Jede der drei Genossenschaften – es handelt sich dabei um die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft eG, die Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG und die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam eG – hat zwar autonome Entwürfe eingereicht, diese jedoch architektonisch und hinsichtlich der Nutzungen aufeinander abgestimmt. Ihre Konzeptionen für die einzelnen Grundstücke sind untersetzt mit gemeinsamen grundstücksübergreifenden Konzepten, die das gesamte zu errichtende Quartier umfassen. Dazu gehört ein gemeinsamer Plan für die Gestaltung und öffentliche Nutzung des Hofes, ein gemeinsames Energiekonzept und ein übergreifendes Mobilitätskonzept.

Sylvia Knuth sprach im Auftrag des KM Magazins mit den Vorständen der Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 und der Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam.

Silvia Knuth: Wie wichtig ist Ihnen die Potsdamer Mitte?

Sebastian Krause: Wir bewirtschaften gemeinsam im unmittelbaren Umfeld des Landtages mehr als 800 Wohnungen. Hier ist das Zuhause von hunderten Potsdamer Genossenschaftlern. Bei der Errichtung des Block III geht es um die Gestaltung von deren Wohnumfeld.
Matthias Pludra: Noch heute leben Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler bei uns, die mit Schippe, Schubkarre und ihren eigenen Händen die kriegszerstörte Mitte aufgeräumt, enttrümmert und wieder bebaut haben. Es wäre eine Fortsetzung und vielleicht sogar die Krönung dieser Aufbauleistung, wenn deren Genossenschaften bei der Bebauung des Block III maßgeblich mitwirken würden.
Bodo Jablonowski: Wir sind Potsdamer, ich bin gleich um die Ecke aufgewachsen, und insofern in ganz natürlicher Weise betroffen von der Gestaltung der Mitte unserer Stadt. Aber mehr noch: Unsere Genossenschaften sind Potsdamer Unternehmen, die für Potsdamer bauen. Und genau das können wir – und nur wir – anbieten: Eine Mitte für Potsdamer, gebaut von Potsdamer Unternehmen.

Silvia Knuth: Welche Bedeutung messen Sie einer Beteiligung Ihrer Genossenschaften an der Neugestaltung der Potsdamer Mitte zu?

Bodo Jablonowski: Unsere Beteiligung in dem Umfang und in der Art und Weise, wie wir sie jetzt vorgeschlagen haben, wäre das wichtigste gemeinsame Projekt der Potsdamer Genossenschaften seit der Wende.
Matthias Pludra: Ich würde da noch weitergehen: Nach den ungeheuren Anstrengungen tausender Genossenschaftsmitglieder zum Wiederaufbau der Stadt in den 50er und 60er Jahren ist unser gemeinsames Vorhaben eine der großartigsten Herausforderungen seit Gründung der drei Genossenschaften.

Silvia Knuth: Entschuldigung, was heißt denn „großartig“?

Wolfram Gay: Da fallen mir gleich drei Dinge ein. Erstens: Wir garantieren im Verbund als Genossenschaften soziales Wohnen in exponierter Lage und das auf Dauer. Zweitens: Wir sichern gemeinsam als sozial engagierte Unternehmen einen einzigartigen und lokaltypischen Mix aus Wohnen, Gewerbe, Kultur, Bildungs- und Begegnungsmöglichkeiten, der sich an den Interessen der Bewohner dieser Stadt orientiert. Und drittens: Wir schaffen als zusammenwirkende genossenschaftliche Bauherren exklusive und einzigartige Architektur, die den Traditionen des Ortes entspricht und zugleich den modernsten Anforderungen genügt.
Sebastian Krause: Wir werden einen Ort schaffen, der den Potsdamerinnen und Potsdamern gehört. Wir meinen damit, dass jeder Bürger und jede Bürgerin es sich leisten kann, dort zu wohnen, einzukaufen oder in die Kneipe zu gehen, dass sie es sich leisten können, sich dort mit anderen zu treffen, Veranstaltungen zu besuchen oder Kunst zu genießen.
Bodo Jablonowski: Unsere Gesamtkonzeption ist städtebaulich und architektonisch etwas Besonderes, aber auch sozial und wirtschaftlich. Sie umzusetzen, wäre eine großartige Leistung, ein Beispiel mit Strahlkraft, das weit über die Grenzen des Landes Beachtung finden würde.

Silvia Knuth: Sie wissen, dass manche Ihnen das nicht zutrauen.

Matthias Pludra: Das ist ja Quatsch! Seit 60 Jahren machen wir nichts anderes als für unsere Mitglieder zu bauen, nicht nur Wohnungen, auch Gewerbeeinrichtungen, Freianlagen, ganze Siedlungen. Das ist unsere Aufgabe. Für dieses Vorhaben haben wir Architekten mit exzellenten Erfahrungen und von nationalem Ruf engagiert. Und wer denkt, dass wir nicht historisch können, der soll sich von mir aus die Siedlung Vaterland am Schragen oder die am Ruinenberg ansehen – hier haben wir denkmalgeschützte Originale erneuert. Oder das neue Quartier neben der Französischen Kirche – hier haben wir ein historisches Vorbild in moderner Weise interpretiert. Natürlich können wir das!
Bodo Jablonowski: Ich glaube gar nicht, dass das wirklich ein echter Vorbehalt ist. Wer uns das nicht zutraut, der weiß entweder nichts über uns, oder er will einfach nicht, dass da genossenschaftlich gebaut wird.

Silvia Knuth: Wie viel würden Sie denn investieren?

Wolfram Gay: Haben Sie bitte Verständnis, dass wir noch keine Zahlen nennen können, da das Verfahren bis zur endgültigen Entscheidung unter dem Gebot der Anonymität steht. Erst wenn wir wissen, welche Grundstücke wir bebauen werden, können wir dazu seriöse Angaben machen.
Sebastian Krause: Es ist ja allgemein bekannt, dass sich die Kosten für die Errichtung des gesamten Blocks in einem zweistelligen Millionenbetrag mittlerer Höhe bewegen. So haben es unabhängige Gutachter geschätzt.

Silvia Knuth: Um wie viele Wohnungen geht es bei Ihren Vorhaben?

Matthias Pludra: Wir planen derzeit mehr als 100 Wohnungen. Wir legen den Schwerpunkt auf dauerhaft bezahlbaren Wohnraum und Wohnungsgrößen, die sowohl für Singles und Paare als auch für Familien geeignet sind. Aber wir werden kein reines Wohngebiet bauen, sondern auch Einrichtungen für Handel, Gastronomie, Gewerbe, Bildung, Kultur und Begegnungen. Da gibt es klare Vorgaben der Landeshauptstadt. Mit unseren Planungen erfüllen wir diese Vorgaben und haben zugleich das Maximale an Wohnraum untergebracht, was möglich war.

Silvia Knuth: Sie sprechen von dauerhaft bezahlbaren Wohnraum. Welchen Anteil an Sozialwohnungen streben Sie an?

Sebastian Krause: Insgesamt wird etwa ein Drittel aller Wohnungen Sozialwohnungen sein, deren Mietpreise sich nach den Förderrichtlinien des Landes Brandenburg richten werden. Es wird sogar mindestens drei Adressen geben, in denen die Wohnungen zu 100% Sozialwohnungen sein werden.

Silvia Knuth: Jede dritte Wohnung ist eine Sozialwohnung. Und was ist mit dem Rest?

Wolfram Gay: Die restlichen zwei Drittel liegen in der Miethöhe 10% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem jeweils gültigem Mietspiegel. Diese Regel werden wir für mindestens zwanzig Jahre garantieren können. Das ist ein Angebot, das dem Charakter der Genossenschaften entspricht, es ist „typisch genossenschaftlich“.

Silvia Knuth: Sie sagen, dass sie Sozialwohnungen bauen wollen. Das heißt, dass Sie auch Fördermittel nutzen werden?

Bodo Jablonowski: Wir sind froh darüber, dass das Land den Neubau von Wohnungen fördert. Wir gehen davon aus, dass wir unsere Pläne für den Block III zumindest in Teilen unter Inanspruchnahme von Fördermitteln umsetzen können. Wir rechnen fest damit und sind eigentlich ganz optimistisch, dass das gelingen wird.
Sebastian Krause: In der Öffentlichkeit wird derzeit erwogen, städtische Grundstücke nicht mehr nur zum Höchstpreis zu verkaufen. Es gibt den Vorschlag, solche Grundstücke auch an Genossenschaften zu übertragen, wenn diese bereit sind, dort Sozialwohnungen zu errichten. Wir begrüßen solche Überlegungen und zeigen in der Mitte ganz aktuell, dass wir genau das wollen und können.

Silvia Knuth: Das von Ihnen gemeinsam für den gesamten Block erarbeitete Nutzungskonzept sieht auch Angebote für Kunst, Begegnung und Bildung vor. Was ist denn daran „typisch genossenschaftlich“?

Wolfram Gay: Wir wollen Möglichkeiten schaffen, die von jedem Potsdamer und jeder Potsdamerin in Anspruch genommen werden können, weil sie natürlich deren Interessen und Bedürfnissen entsprechen. Wir schielen also nicht zuerst nach den Touristen.
Sebastian Krause: Wichtig und „typisch genossenschaftlich“ ist, dass diese Angebote auch bezahlbar sind. Eines unserer Konzepte sieht zum Beispiel vor, sehr große Flächen in enger Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt für eine künstlerische Nutzung zu reservieren – zu einem sehr günstigen Preis und das über 20 Jahre. So könnte am Alten Markt ein interessantes und spannungsreiches Dreieck entstehen – zwischen dieser Einrichtung, dem Potsdam Museum und dem Museum Barberini. Alle drei Einrichtungen zeigen Kunst, aber jede mit einem anderen inhaltlichen Schwerpunkt.
Matthias Pludra: Wir haben auch Instrumente entwickelt, um die lokale Kunst- und Kreativszene zu fördern und an diesem Ort dauerhaft heimisch zu machen. Andere Vorhaben zielen auf die Förderung des gesellschaftlichen Dialogs und der Gemeinwesensarbeit.

Silvia Knuth: Was kann denn an einer innerstädtischen Gewerbeansiedlung „typisch genossenschaftlich“ sein?

Wolfram Gay: Wir setzen auf kleinteiliges lokales und regionales Gewerbe, das, so wie wir selbst, in Potsdam und in Brandenburg zu Hause ist. Auf keinen Fall werden hier großen Ketten und Konzerne ihre nächsten Filialen eröffnen. Kleine Handwerksbetriebe, junge Gründer, landwirtschaftliche Familienbetriebe, genossenschaftliche und ähnliche Unternehmen werden hier ihren Platz finden. Das sind Betriebe, die uns als Genossenschaften hinsichtlich ihrer Wirtschaftsgrundlagen viel näherstehen als große Unternehmen, die national oder international operieren.

Silvia Knuth: Sie werden entschuldigen, aber was Sie da beschreiben, das kann doch jeder andere Investor auch.

Bodo Jablonowski: Eben nicht! Alle anderen können nur für das eine Los oder die zwei Lose ein Konzept entwickeln, um das sie sich beworben haben. Wir haben für den gesamten Block ein Konzept gemacht. Das sind in sich stimmige Einzelprojekte, die gemeinsam ein originelles und harmonisches Gesamtbild ergeben.
Sebastian Krause: Das trifft auch auf die Architektur zu und auf das Bild der Fassaden. Wer nur an seinem einzigen Grundstück arbeitet, kann gar nicht das gesamte Fassadenbild des Blocks im Blick haben.
Matthias Pludra: Die gleichzeitige Beschäftigung mit allen Grundstücken gestattet es, die jeweilige Bebauung und Nutzung aufeinander abzustimmen. Das ermöglichte auch, dass wir ganz anders kalkulieren konnten: An jener Stelle rechnen wir mit einem Gewinn, an anderer Stelle können wir den Überschuss ausgleichend einsetzen, wo wir sonst vielleicht Verlust machen würden.

Silvia Knuth: Damit ich Sie richtig verstehe: Ihre Stärke liegt in dem gemeinsamen Konzept?

Wolfram Gay: In dem gemeinsamen Konzept und in der Tatsache, dass wir Genossenschaften sind. Wir müssen nach dem genossenschaftlichen Selbstkostenprinzip wirtschaften, nicht nach dem maximalen Gewinn streben. Das unterscheidet uns von allen anderen Investoren.

Silvia Knuth: Sie haben das erste Mal eine so komplexe Aufgabe gemeinsam bearbeitet. Wie lief das so?

Bodo Jablonowski: Das war tatsächlich neu für uns, aber wir waren alle sehr motiviert. Das trifft auch für die Architekten zu und für die externen Berater, die uns bei dem Nutzungskonzept, bei den Fragen der Energieversorgung, der Mobilität und der Freiraumplanung unterstützt haben.
Matthias Pludra: Das war sehr aufwändig, auch nicht frei von Konflikten. Aber das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand im Nachhinein.
Sebastian Krause: Im Ergebnis der Arbeit haben wir ja viel mehr geschaffen als vierzehn einzelne Grundstücksplanungen. Da entstand ein bedeutender Mehrwert, der Chancen für die Stadt in sich trägt.

Silvia Knuth: Worin bestehen dieser Mehrwert und die Chancen?

Matthias Pludra: Die drei Genossenschaften haben gemeinsam ein facettenreiches und harmonisches Gesamtbild der Gebäude entwickelt. Wir haben aber auch ein quartiersbezogenes Energiekonzept und ein spezifisches Mobilitätskonzept erarbeitet.
Wolfram Gay: Wir verfolgen ein grundstücksübergreifendes Konzept zur Gestaltung des Innenhofes, der am Tage auch für die Öffentlichkeit offenstehen soll. Damit gehen wir weit über die Vorgaben der Stadt hinaus, die von einer nichtöffentlichen Nutzung ausging. Die öffentliche Nutzung wäre ein echter Zugewinn.
Sebastian Krause: Wir haben es ja mit einem sehr traditionsreichen Standort zu tun. Wir wollen das nicht nur an die barocken Ursprünge anknüpfen. So haben wir beispielsweise vorgeschlagen, dass die gerade abgebauten Skulpturen aus dem Staudenhof auf dem Hof des Blocks III eine neue Heimat finden. Es geht dabei um die „Stehende unter dem Baldachin“, den „Pflanzturm“ und das „Sitzende Mädchen“.

Silvia Knuth: Sie haben sich um die Entwicklung und Bebauung aller 14 Grundstücke des Blocks III beworben, mit 12 sind Sie nach der ersten Bewerbungsrunde noch dabei. Können Sie Ihre gemeinsamen Pläne in Sachen Hoföffnung, Energieeffizienz, Mobilität – und alles, was Sie noch erarbeitet haben – auch mit 12 Grundstücken realisieren?

Bodo Jablonowski: Nach dem jetzigen Stand der Dinge würde das gehen.
Silvia Knuth: Danke für das Gespräch.

Wolfram Gay und Matthias Pludra sind die Vorstände der Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG, Bodo Jablonowski und Sebastian Krause, die der Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam eG.