Kurswechsel in der Klimapolitik des Gebäudesektors gefordert

Wissenschaftler treten für Fokus auf Reduktion der Treibhausgase ein

Prof. Dietmar Walberg, Prof. Dirk Hebel, Axel Gedaschko, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek (v. l.) bei der Vorstellung des Manifests Foto: axentis/Lopata

Renommierte Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben am 14. November in Berlin ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards und fordern einen politischen Richtungswechsel.

„Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert! Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen“, so die Autorinnen und Autoren.

Das Manifest ist Gründungsdokument der „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“. Ziel der Initiative ist es, einen breiten Diskurs in der Öffentlichkeit zu organisieren. Die Initiatoren fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Politik dazu auf, der Initiative beizutreten.

Fünf Kernpunkte

Die „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ definiert fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle (Heizwärmebedarf unter 75 kWh/(m2a)) Abstand genommen werden.

Etwa Zweidrittel aller Mehrfamilienhäuser sind bereits teilsaniert oder wurden nach Einführung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV 2002) gebaut. Diese Gebäude sind i.d.R. niedertemperaturfähig und damit für den Einsatz von Wärmepumpen geeignet. Die oft zu hörende Meinung, dass vor dem Einbau einer Wärmepumpe die Heizkörper ausgetauscht werden müssen oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden muss, ist eine Fehleinschätzung wie umgesetzte Beispiele zeigen.

Darüber hinaus soll die politische Regulierung stark vereinfacht und auf einen CO2-Emissionsreduktionspfad abgestellt sowie der Erhalt von Bestandsgebäuden gefördert werden.

Warum die derzeitige Strategie im Gebäudesektor gescheitert ist

Im Manifest fassen die Wissenschaftler ihre in jahrelanger Forschung erlangten Erkenntnisse zusammen. Sie unterstreichen, dass ein stärkerer Fokus auf CO2-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen kann.

„Mit unserem Praxispfad CO2-Reduktion senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro. Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, einer der fünf Gründer der Initiative.

„Zudem berücksichtigen wir mit unserem Ansatz auch die Treibhausgasemissionen, die durch den Bau der Bestandsgebäude bereits entstanden sind bzw. jene, die durch Neubau noch entstehen würden“, sagt Prof. Dirk Hebel.

Und Prof. Dr. Werner Sobek ergänzt: „Wir müssen den CO2-Emissionen einen angemessenen Preis geben. So können wir den Weg zur Erreichung des Klimaziels realistischer planen und sozial gerechter gestalten“.

Die aktuellen Ansätze, die sich auf maximale Energieeffizienz und umfassende Sanierungsmaßnahmen stützten, seien weder finanzierbar noch klimawirksam genug, folgert das Manifest der Wissenschaftler. „Was wir benötigen, ist kein blindes Streben nach höchster Energieeffizienz, sondern eine praxisorientierte Politik, die auf die Senkung der Treibhausgasemissionen abzielt“, sagt Prof. Elisabeth Endres.

„Wir fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft auf, den Diskurs mit uns zu führen und sich dieser Initiative anzuschließen”, ergänzt Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg.

Haushaltskrise als Katalysator für dringend notwendige Reformen

Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsdebatten und der gescheiterten Ampel-Koalition wird eine Kurskorrektur umso dringlicher. Die bisherigen Förderansätze übersteigen die finanzielle Belastungsgrenze des Bundeshaushalts bei weitem, so die Wissenschaftler.

Die Wissenschaftler rufen insbesondere die Entscheidungsträger in der Politik dazu auf, die Klimapolitik für den Gebäudebereich von Grund auf zu überdenken und sie auf realistisch, erreichbare CO2-Reduktionsziele auszurichten – und nicht den Weg durch einen Dschungel von Gesetzen und Verordnungen dahin vorzuschreiben. In Anbetracht der gescheiterten Regierung und der drängenden Haushaltsprobleme seien die klimapolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung.

GdW tritt Initiative bei

Angesichts der Dinglichkeit des Themas für die Wohnungswirtschaft tritt der GdW der „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ bei. Er fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die kommenden Neuwahlen als Chance für einen neuen Ansatz zu nutzen.

„Ein Kurswechsel in der Klimapolitik ist zwingend notwendig, um eine ökonomisch machbare, sozial gerechte und ökologische Wende im Gebäudesektor zu schaffen“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des GdW – Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen. „Es gilt, praxisorientierte Lösungen zu fördern, die die Klimaziele erreichbar machen und die sozialen Belastungen für Mieter und Vermieter in Grenzen halten“.

Das vollständige Manifest der Wissenschaftler finden Sie hier.