Kooperation gegen Wohnungsnot bei Internationals

Wohnungsmangel gefährdet Qualität von Lehre und Forschung in Potsdam / Wissenschaftliche Einrichtungen, Hochschulen, Stadtgesellschaft, Studentenwerk, Wohnungswirtschaft und Landeshauptstadt Potsdam wollen gemeinsam gegensteuern

Viele internationale Studierende und Gastwissenschaftler*innen haben es schwer, eine Wohnung in Potsdam zu finden. Die AG Internationals möchte nun gegensteuern. Symbolfoto: ThisIsEngeneering/Pexels

Internationals – Internationale Studierende und Wissenschaftler*innen – sind bedeutend für die Wissenschaftsstadt Potsdam. Die Stadt ist ein renommierter, internationaler Hochschul- und Wissenschaftsstandort. Nirgendwo in Deutschland gibt eine so hohe Dichte von wissenschaftlichen Einrichtungen, die zudem in internationalen Programmen forschen. Zahlreiche internationale Forschungsprojekte stehen für das Renommee dieser weltweit bekannten, weltoffenen Stadt. Sie suchen Wohnungen, temporär oder langfristig, sie arbeiten, lernen, studieren oder forschen hier, sie möchten Potsdam als Stadt kennenlernen und sich mit Potsdamer*innen treffen.

Jedoch sehen sich die wissenschaftlichen und Lehreinrichtungen schon seit langem damit konfrontiert, dass es schwer bis unmöglich geworden ist, zeitweilig in Potsdam forschende und lehrende Experten*innen und Studierende mit Wohnraum zu versorgen. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Wohnungsknappheit hat sich dieses Problem verschärft. Die Verantwortlichen in den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen sehen die Qualität von Lehre und Forschung gefährdet.

Arman Grigoryan aus Armenien studiert Regie an der Filmuniversität Babelsberg. Nach zwei Jahren in einem Studentenzimmer wollte er eine Wohnung in Potsdam suchen, da er von seinem Zimmer bis zur Uni eine Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Aber: „Das war für mich ganz schwierig“, berichtete er kürzlich bei einer Pressekonferenz zur Wohnungsnot der Internationals. Sein Fazit: In Potsdam sei die „Partnersuche einfacher als die Wohnungssuche“. Es müsse sich dringend etwas ändern, so der Student. Für ihn sei es wichtig, dass anerkannt werde, dass die internationalen Studenten Potsdam nicht nur als vorübergehenden Wohnsitz sehen, sondern auch als dauerhaften Aufenthaltsort, so Grigoryan.

Auch für Carlos Rittl gestaltet sich die Wohnungssuche schwierig. Seit einem halben Jahr ist der Brasilianer mit seiner Familie in Potsdam und arbeitet am Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS Potsdam). Derzeit wohnt die Familie in der Wohnung eines Kollegen, muss jedoch in wenigen Monaten ein neues Zuhause gefunden haben. „Die Wohnsituation ist eines der ersten Themen bei den Gastwissenschaftlern, die nach Potsdam kommen sollen“, berichtet Rittl.

Befragungen unter den Internationals bestätigen diese Erfahrungen: Laut einer Studie von 2019 schätzen zwei Drittel der ausländischen Studierenden und Wissenschaftler*innen die Wohnungssuche als sehr schwierig ein – vor allem, wenn es um Mietwohnungen geht.

Eine Kooperation von wissenschaftlichen Einrichtungen, Stadtverwaltung, Stadtgesellschaft, Studentenwerk, Wohnungswirtschaft und Stadtverwaltung will nun gemeinsam gegensteuern. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe Internationals hat die aktuelle Situation untersucht und verfolgt kooperative Lösungen – ein Novum in der Landeshauptstadt.

Lebens- und Wohnsituation von Internationals

Wenn Internationals nicht oder verzögert anreisen können, weil sie hier keine Wohnung finden, gehen nicht nur Forschungsgelder verloren, es leidet auch das internationale Ansehen Potsdams. Viele Internationals weichen bei ihrer Wohnungssuche nach Berlin aus, sie sind dementsprechend in ihrer Freizeit nicht mehr in Potsdam. Begegnungen mit hiesigen Locals entfallen.

Internationale Studierende und Wissenschaftler*innen sind in Potsdam die größte Gruppe der hier lebenden Internationals, etwa 3600 Studierende (im Wintersemester 2019/2020) und etwa ebenso viele Wissenschaftler*innen.

Eine der größten Schwierigkeiten für sie ist es, in Potsdam eine bezahlbare, gut an den öffentlichen Nahverkehr angebundene oder in der Nähe der Forschungsstelle bzw. der Universität liegende Wohnung zu finden. Der Großteil der Arbeit des International Offices der Forschungseinrichtungen betrifft nicht von ungefähr die Suche nach bezahlbarem Wohnraum in vertretbarer Nähe.

Die Internationals seien „eine wichtige und große Zielgruppe auf dem Wohnungsmarkt“, sagte Gregor Jekel, Fachbereichsleiter Wohnen der Landeshauptstadt Potsdam. Dabei seien sie oft nicht mit dessen Mechanismen vertraut, etwa durch Sprachbarrieren und ungewohnte Wohnformen. Es sei wichtig, die Bedarfe sichtbar zu machen und Lösungen zu suchen. Dafür brauche es das Engagement aller Akteure, so Jekel. Die Ansätze seien vielversprechend, oft sei bisher aber nur eine punktuelle Unterstützung möglich, der Bedarf aber viel größer. Hier sei auch das Land in der Pflicht, etwa bei der Ausstattung des Studentenwerks, schlug Jekel vor.

Die AG Interationals

Seit 2015 gibt es einen Zusammenschluss von zahlreichen Akteurinnen und Akteuren in einem Wissenschaftsnetzwerk Potsdamer Willkommensregion – im Einklang mit dem Integrationskonzept der Landeshauptstadt Potsdam. Dieses Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, Internationals herzlich in Potsdam zu begrüßen, sie während ihres Aufenthaltes zu unterstützen, zu beraten und ihnen unsere weltoffene Stadt näher zu bringen. Seit 2017 besteht innerhalb des Netzwerkes die Arbeitsgruppe „Internationales Wohnen und Begegnen“, die den Fragebogen entwickelt und gemeinsam mit dem Bereich Statistik und Wahlen der Landeshauptstadt Potsdam realisiert hat.

Aus der Befragung der Internationals abgeleitete Handlungsempfehlungen richten sich an die Landeshauptstadt Potsdam in Kooperation mit Potsdamer Wissenschaftseinrichtungen, das Land Brandenburg, die Wohnungswirtschaft und an Engagierte.

  • Das betrifft in erster Linie bezahlbaren und mietbaren Wohnraum, Studentenwohnheimplätze oder Gästewohnungen.
  • Ein Gästehaus in zentraler Lage, in dem temporäres Wohnen unkompliziert möglich ist und das zugleich Begegnungen der Internationals untereinander und zugleich mit der gesamten Stadtgesellschaft ermöglicht, wäre der Idealfall.
  • Weitere Empfehlungen betreffen Veranstaltungsformate sowie Informationsportale zu Stadt, Kultur, Behörden und Arbeitsmöglichkeiten in englischer Sprache.

Die AG Internationals hat bereits neben der Situationsanalyse einiges auf den Weg gebracht:

  • So gibt es eine enge Kooperation mit den Bereichen Wohnen und Tourismusmarketing.
  • Es werden Hotelzimmer für anreisende Internationals, die durch Corona-Vorgaben in Quarantäne müssen, vorgehalten.
  • Um Begegnungen mit Locals zu organisieren, wird von Mitgliedern der AG Internationals der International Tuesday Ab dem 1. Juni 2021 heißt es immer dienstags ab 18 Uhr Bühne frei für Science Slam, internationale Kultur, Gespräche, Aktionen, Potsdam-Infos u. v. m. mit anschließendem Get-together. Hauptsächlich wird englisch gesprochen. Bis Oktober ist der International Tuesday zu Gast auf der Inselbühne Potsdam.

Weitere Kooperationsprojekte, so zwischen dem Studentenwerk Potsdam und der kommunalen Immobilienholding ProPotsdam GmbH, zielen auf die Schaffung neuen Wohnraums, der Studierenden und Wissenschaftler*innen zur Verfügung gestellt werden kann. Entsprechende Projekte werden im Bornstedter Feld und in der Potsdamer Innenstadt am Alten Markt vorbereitet, ein weiteres wird aktuell im Rahmen der Entwicklung des Schlaatzes diskutiert. „Wenn wir es im Bereich studentisches Wohnen oder Gastwissenschaftler schaffen, den Wohnungsmarkt zu entlasten, ist es auch ein Beitrag für alle Potsdamer und den gesamten Wohnungsmarkt“, sagte Bert Nicke, Geschäftsführer der ProPotsdam.

Derzeit erwerbe das kommunale Wohnungsunternehmen ein Grundstück im Zentrum von Golm, das Platz für 82 Wohnungen biete. Hier sei eine Kooperation der ProPotsdam mit den Forschungseinrichtungen möglich. Darüber hinaus diskutiere die Potsdamer Wohnungswirtschaft auch über die Errichtung von speziellen Unterkünften für Gastwissenschaftler, so Nicke. Konkrete Pläne gebe es aber noch nicht.

„Was deutlich wird ist, dass dieses Thema ein gesamtgesellschaftliches ist“, resümierte Peter Heiß, Geschäftsführer des Studentenwerks Potsdam. „Es werden nicht morgen alle Lösungen da sein, aber wir gehen diesen Weg gemeinsam.“